Youth Summit 2009

Montag war Präsentation und Abschlussfeier im Goethe-Institut. Ich also noch schnell Krawatte und Anzug aus der Hand gelegt und zu Hause gelassen, sich wohl an die Temperatur-Katastrophe vor einigen Tagen erinnernd. Und es war kein Fehler, ich war allerdings etwas stinkig gegenüber den Deutschen, die in kurzer Hose und T-Shirt kamen. Den Japanern sehe ich das nach, die wurden vielleicht auch nicht informiert. Vorher haben wir aber noch kurz im nahe gelegenen Meiji-Schrein Harajuku-Omotesando vorbeigeschaut. Morgenpredigt der Priester in Begleitung unserer in drei Teile aufgesplitteten Reisegruppe. Dieses Spektakel hätte ich mir lieber gespart.

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Naja, dann gab’s halt Präsentationen, die inhaltlich wie zu erwarten war keine Meilensteine setzten. Das war meiner Meinung nach ja auch nicht das Hauptziel des Youth Summit, sondern das, was gestern passiert ist. Die Popkultur/Otaku-Gruppe erzählte von ihrem Besuch in Akihabara, den ich neidisch verfolgte und am Dienstag selbst reproduzierte. Deswegen sitze ich jetzt auch diesen Beitrag schreibend mit einem dutzend Blasen an den Füßen und einer ganzen Tüte Jagderfolg da.

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Nach den Präsentationen stellte uns die Vereinsleitung noch ihre Ideen und Träume für die Zukunft der Veranstaltung vor, die dieses Mal bereits doppelt so groß geworden war wie letztes Mal. Ich bin sicher, sie wird sich zu etwas ganz Besonderem entwickeln, wenn zwei Bedingungen erfüllt werden. Es müssen sich mehr Leute finden, die an diesen Verein bereit sind zu glauben und sich in ihm engagieren. Und die Administration darf den Boden unter den Füßen nicht verlieren. Ich weiß, so etwas aus meinem Munde, grade Ersteres.

Ich habe gesehen, wie viel Arbeit und wie wenig Schlaf und Essen diese Leute investiert haben, um uns diese Woche zu bieten. Das verdient höchsten Respekt, insbesondere auch den drei Japanerinnen Haruka, Aya und Chiemi. Die haben ganze Nächte ohne Schlaf verbracht und dann auch das Frühstück ausgelassen. Dazu wäre nicht mal ich im Stande gewesen. Also großes Danke und Geschenke auf der Bühne. Die Organisationswut der Japaner ist ohnehin bewundernswert.

Kleinste und Banalste Sachverhalte werden aufgeteilt, aufgeschrieben, in der Gruppe besprochen und dann wie am Schnürchen umgesetzt. Dermaßen penibel, dass es mir peinlich war, als ich das zweite Mal nach der Anzahl der Personen in meiner Dokumentationsgruppe gefragt wurde und keine Antwort wusste. Die Gruppe existiert allerdings zur Zeit quasi sowieso nicht, weil wir ja im hier und jetzt Leben und ich sogar für das Blog kaum Zeit aufbringen kann und manchmal sogar will.

Na, dann ging‘s jedenfalls weiter mit einem extrem beeindruckenden und mitreißenden Konzert klassischer japanischer Musik. Ich weiß leider grade nicht, wie das Instrument heißt, aber die Bilder sprechen für sich. Des Weiteren waren die japanischen Trommler hautnah zu erleben, die wohl auch schon auf dem Japantag in Düsseldorf auf der Bühne standen, wenn ich nicht irre. Wahnsinn.

Es zeigte sich dann bei der Abschlussfeier, dass die Japaner nach einem Becher Bier schon kräftig Einen sitzen haben. Während die Deutschen noch todnüchtern herumstanden, flippten die Japaner bereits aus und sorgten für gute Laune. Dank geht auch an die DJJG für das leckere Buffet. Dann verfielen alle in eine Art Fotowahn zum Abschied jener Teilnehmer, die sich am nächsten Tag davon machen würden. Es wurden viele Geschenke ausgetauscht.

Ich verzog mich anschließend gegen neun Uhr noch mit Natasha nach Shibuya, um ein Eis zu essen und mir die Geschichte vom treuen Hund Hatchi erzählen zu lassen. Das scheint wirklich ihr Lieblingsplatz zu sein in Tokio. Die Amerikaner verfilmen die Geschichte übrigens offenbar grade mit Richard Gere. Das kann ja nur Hollywood werden, bäh. Und die Hauptrolle spielt kein Japaner? Naja.

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Kulturelle Tretminen

Wie ihr vielleicht ahnt, sind die Blogbeiträge immer ein bis zwei Tage verzögert. Das bedeutet, ich war bereits am freien gestrigen Dienstag in Akihabara, während ich eigentlich den Beitrag für das Wochenende schreiben sollte. Aber das mache ich jetzt etwas zusammengefasst. Es folgt also die Zusammenfassung für Sonntag und Montag, 16+17. August. An diesen Tagen fand der Youth Summit seinen Höhepunkt und Abschluss.

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Am Sonntag waren wir viel unterwegs, bevor wir uns an die Diskussion und Vorbereitung der Präsentation für den Höhepunkt des Youth Summit am Montag machten. Die Bilder erzählen auch heute wieder mehr, als ich über die Tempel und Schreinbesuche schreiben könnte. Wie üblich hatten wir wechselweise 30° im Schatten und Ohne bei üblich hoher Luftfeuchte.

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Der Museumsbesuch erzählte uns die Geschichte Japans im Blickwinkel von Krieg und Frieden, Sieg und manchmal auch Niederlage. Die Darstellung einiger Sachverhalte war ein bisschen gewöhnungsbedürftig oder nur sehr indirekt verständlich, vor Allem wenn es um Niederlagen ging oder gar den Ausgang des 2. Weltkrieges. Ganz wichtig war immer, eine Entschuldigung für jede offensive Handlungsweise zu präsentieren. Ich möchte nicht sagen, dass die Darstellungen falsch waren, aber sie waren manchmal dermaßen verzerrt, dass man sich fragt, welche Darstellung die „korrektere“ ist – die westliche oder die Japanische.

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Unser japanischer Gruppenleiter sowie die anderen drei Japanerinnen und Japaner haben die Gruppe super geführt und den Rundweg mit diesem Museumsbesuch beendet. Zwischendurch gab’s leckere Yakusoba-Nudeln mit Zimtgeschmack. Anschließend haben wir uns am Sonntag ab 17 Uhr zusammengesetzt, um die Präsentation vorzubereiten. Ich weiß nicht, ob es nur daran lag, dass unser Gruppenleiter offenbar das Ganze unter „Präsentation“ eingeordnet hat statt „Gruppenarbeit“, aber es war eine ziemlich krasse Erfahrung.

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Denn im Gegensatz zu den Deutschen gibt’s bei den Japanern keine Diskussionskultur. Die Mitglieder der Gruppe sind dazu da, den Präsentationsführer zu unterstützen, nickend dazusitzen und hinter ihm zu stehen. Die Inhalte des Vortrags sind oft bereits vorher festgelegt und auch die Argumentationskette. Somit war unser Gruppenleiter absolut aus dem Konzept gebracht, als die Deutschen angefangen haben, „warum“ zu fragen. Er war des Weiteren äußerst unglücklich über die Antworten auf seine Fragen (was schon ungewöhnlich genug ist, dass er uns in dieser Vorarbeit etwas gefragt hat). Mit den langen, kritischen Antworten hat er ebenfalls nicht gerechnet.

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Hinzu kam die Kommunikationsbarriere, so dass das Chaos perfekt war und er unsere Gruppe kurzerhand zum Abendbrot geschickt hat. Die anderen Japaner in der Gruppe haben sich bis dahin auffällig zurückgehalten, obwohl sie Englisch können. Ich glaube, sie haben es längst kapiert oder kennen die deutsche Diskussion bereits.

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Wir Deutschen haben uns also sofort nach dem Essen zu einer Krisensitzung zusammengesetzt und uns an die japanische Diskussionskultur erinnert. Nach dem Essen hat unser englischbefähigter Japaner aus der Gruppe übernommen. Dies allerdings hat wenig später trotz oder gerade aufgrund erfolgreicherer Leitung zu einem für Japaner ziemlich heftigen Streit geführt. Schließlich bedeutete das für unseren Gruppenleiter einen Gesichtsverlust sondergleichen. Während er also noch hinter mir ausrastete „ore, ore!“ haben wir versucht ihn wieder einzugliedern. Dies gelang dann auch mit viel Augenkontakt und Aufmerksamkeit für ihn sowie einigen hochspannenden sozialen Verhaltensweisen innerhalb der vier Japaner, was beobachten zu dürfen eine große Ehre und eine spannende Geschichte war.

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Die Präsentation wurde dann anschließend wohl typisch japanisch zu Ende gebracht. Die Japaner schrieben alles auf und erstellten die Folien, während wir nickend und zustimmend aber etwas ratlos daneben gesessen haben. Dieser Spaß war dann um halb zwei Uhr morgens vorbei. Es gab andere Gruppen, die schneller fertig waren, ja. Es gab auch andere Gruppen, die bessere Präsentationen hatten, ja. Aber ich vermute, keine hat so viel gelernt dabei wie Unsere. Und böse ist uns unser japanischer Gruppenleiter anschließend auch nicht gewesen, denke ich.

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Fail.

Wann ich mal schlafen soll, hat sich soeben herausgestellt und mir den Rest des Abends versaut. Scheisse, wieso kann man nicht mal für eine Woche ohne Schlaf auskommen? Viel Spektakuläres gibt es heute daher nicht zu berichten. Die Eröffnung des Youth Summit artete in einer Mammutveranstaltung aus. Bitte nicht falsch verstehen, ich finde das alles ganz toll. Aber ich schreibe hier eben jede Geschmacksrichtung nieder; ich kann daher nicht abstreiten dass ich am Ende der Veranstaltung, die weitestgehend darin bestand in der Halle des Goethe-Instituts in Tokio zu sitzen und sich Vorträge und Dankesreden anzuhören, quasi am Einschlafen war.

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Dabei waren die Vorträge der hochrangigen Gäste durchaus hochspannend, aktuell und relevant für die Gruppenarbeiten in den nächsten zwei Tagen. Nach Grussworten der DJJG, MEXT, BMBF und MOFA hielt der deutsche Botschafter Daerr die Eröffnungsrede. Die Keynote Speech kam von Sonderbeauftragten des japanischen Kabinetts, Botschafter Nishimura. Wir hörten des weiteren einen Beitrag von Dr. Mochizuki von der United Nations University zum Thema „Background and Principles of Education and Sustainable Development“.

Es folgten noch zwei Kurzfilme. Einmal ein preisgekrönter Film der Immanuel-Kant-Schule Bemerhaven mit einem etwas einnehmenden Regisseur namens „Denk Mal – Mahn Mal“, der auch in Japan wieder kräftig am Material sammeln ist mit einer eigens angereisten Gruppe. Das andere ist ein Film des Azusagawa High School Broadcast Club der Präfektur Nagano unter Leitung von Ms. Saito mit dem Titel „12,7%“. Vergleicht man die beiden Filme, merkt man sofort wie sehr Ästhetik (sowohl der Bildgestaltung, als auch der Sprache und des subtilen Humors) den Japanern im Blut liegen. Während der deutsche Film sehr plump und grobschlächtig ausgeführt daherkam und in allen Bereichen gewisse Mängel aufwies (bis auf die Idee, die gut umgesetzt war), konnte der japanische Film selbst ohne Untertitel überzeugen, auch vor Allem durch eine sehr begabte Amateur-Seiju. Falls jemand den Film bei Youtube findet, bitte dringend Bescheid geben.

Achja, die Gruppen wurden nun auch gebildet. Es zeigt sich, dass viele der deutschen Teilnehmer extreme Probleme zu haben scheinen, sich auf die japanischen Mitglieder einzustellen. Interkulturelle Kompetenz ist nun einmal sehr schwer zu lernen, wenn man sie nicht bereits von Haus aus mitbringt. Eine japanische Teilnehmerin erzählte mir, sie studiere diesen Begriff sogar als Studienrichtung. Der Rest des Tages bestand aus sich kennen lernen und Gruppenvorstellungen.

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Für den Abend war eine Schnitzeljagd in Tokio angesetzt. Ich würde mich jedoch mit eigenem Ziel verzogen haben, zumal unser Gruppenleiter sich mit der Begründung er müsse arbeiten nach der Veranstaltung ebenfalls verzogen hat. Ich wollte nach Akihabara, dem Elektronik- und Otaku-Mekka. Allerdings wurden aus 5 Sekunden auf dem von der Klimaanlage gekühlten Bett dann mehrere Stunden. Wer es nicht weiß: Die Geschäfte in Tokio schließen um 22 Uhr, die letzten Metros fahren gegen 24 Uhr. Somit war der Tag gelaufen. Vielleicht bekomme ich ja am Samstag nach dem gemeinsamen Tokio-Rundweg noch Gelegenheit. Leider bin ich ja nicht in der Popkultur-Gruppe gelandet, sondern in Jener mit dem Thema „Tokios traditionelle Bausubstanz und ihr Erhalt“ oder so ähnlich. Zum Fotografieren wird es genügen, während der Rest der Gruppe auch noch auftaut.

Morgen folgt ein Beitrag mit vielen Fotografien, denn ich war zum ersten Mal in einem angenehmen Tempo mit der Kleingruppe unterwegs und konnte echtes japanisches Mittagessen genießen sowie traditionelle Tempel und Schreine und den letzten Rest eines O-Matsuri (Festival). Der Youth Summit dauert noch bis Montag an, dann reisen viele Teilnehmer wieder ab. Anschließend geht die Youth Week noch bis Freitag. Ich habe erfahren, dass für mich noch immer keine Gastfamilie bekannt ist. Allerdings wurde mir nun plötzlich ein Praktikum in Aussicht gestellt. Wir werden sehen!

Ich habe mich inzwischen an die Hitze gewöhnt und kann weitestgehend aus dem Haus gehen, ohne sofort in Schweißausbrüche zu verfallen. Das ändert aber nichts daran, dann man am Ende des Tages tunlichst duschen sollte. Da ich es gestern nicht geschafft habe, habe ich heute morgen eine These geprüft, die die Mädchen mir gesagt haben. So war tatsächlich die Aussage, die Duschzeiten seien wegen des abgeschalteten Boilers eingeschränkt, wieder mal ein typisch japanischer Schlenker. Warmwasser gibt’s rund um die Uhr, und so erdreistete ich mich tatsächlich, am frühen Morgen die Dusche nachzuholen.

Übrigens, die Japaner haben eine ziemlich versetzte Zeit. Die Sonne geht schon um halb sieben unter und bereits gegen fünf Uhr auf (grob geschätzt). Noch weitere interessante Beobachtungen: In Pachinko-Hallen herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Die japanischen Zikaden sind Riesenviecher und genauso laut. An jeder Ecke piepst irgendwas und jedes mal etwas anders.

Themen des Youth Summit 2009 in Tokyo

Hallo Japan 2009 (Deutsch-Japanische Jugendgesellschaft) Reportage

Die DJJG hat die Themenauswahl der Youth Week veröffentlicht. In den vier Bereichen Bildung, Gesellschaft, Umwelt und Lifestyle werden sich hunderte Teilnehmer aus Japan und Deutschland in mehreren Gruppen austauschen. Der Youth Summit ist Teil der Youth Week.

Zu den Gruppeninhalten zählen aktuelle Themen wie »Elections 2009 in Japan and Germany« ebenso wie spannende und kontroverse Themen wie »Whaling – the background and the controversy«, des Weiteren »Children’s Rights – Child Abuse«, »Pop Culture in Japan – Pilgrimage of Otaku Mecca«, »How we keep and improve our traditional culture?« um nur Einige zu nennen, sowie zwei Sondergruppen, die sich an einem Filmprojekt und der Gesamtausrichtung des Youth Summit und seiner Dokumentation widmen. Die komplette Übersicht mit Statements der Gruppenleiter gibt es auf der Website. Großes hat man sich vorgenommen, denn es ist sicher nicht einfach ein internationales Netzwerk an aufgeschlossenen, vorurteilsfreien Menschen aufzubauen, die offen für fremde Kulturen und Verhaltensweisen sind.

Zur Erarbeitung der Themen soll natürlich der Spaß nicht fehlen, so wird jede Gruppe themenrelevante Einrichtungen und Gegenden besuchen. »Nicht nur das zu behandelnde Thema steht im Mittelpunkt, sondern auch das miteinander reden, diskutieren und planen. Die Teilnehmer können auf diese Weise wertvolle interkulturelle Kompetenzen erwerben und zugleich Freundschaften schließen. Der Summit ist immer in ein Rahmenprogramm – der sogenannten Youth Week – eingebettet, welche den Teilnehmern sowohl die Möglichkeit gibt, Tokyo […] näher kennenzulernen, als auch gemeinsam die Abende zu verbringen.« schreibt Ariane Herold, Studentin im Masterstudiengang Politik Ostasiens an der Ruhr-Universtität Bochum und Gründungsmitglied der DJJG, im Informationsblatt.

Aber es wird wirklich Zeit, dass ich uns endlich ein offizielles Blog einrichte.

Wieso, wie und so – vier Wochen Kostprobe.

Hallo Japan 2009 (Deutsch-Japanische Jugendgesellschaft) Reportage

Dies ist der Auftakt zu einer mehrwöchigen Reportage über den Besuch eines Furtwangener Studenten in Japan im Rahmen des DJJG-Programms »Hallo Japan 2009«, welches in diesem Blog bereits vorgestellt worden ist. Da die Hochschule Furtwangen University im Schwarzwald keinerlei Japankontakte pflegt, musste diese Alternative von mir ergriffen werden. Ich werde mich nach dem einwöchigen Youth-Summit in Tokyo vor allem in Utsunomiya (宇都宮市) 100km nördlich von Tokyo aufhalten. Nicht nur hier, sondern auch im DJJG-Blog wird berichtet werden.

Gängige Vorurteile wie »Japaner vertragen keine Milch«, »Japaner essen Hunde« oder »Die trinken nur Tee« werden auseinandergenommen – ob zu Recht, wird sich zeigen müssen. Wahr ist, dass sich Japan in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Vieles, was vor zwanzig Jahren noch galt, ist heute offenbar nicht mehr. So beschreiben die Autoren Karol Kállay, Otto Mann und Wsjewolod Owtschinnikow in ihrem sehr lesenswerten Fachbuch »Tokyo« noch, wie zukünftige Visionen mit der Überbevölkerung in Tokyo und der vorherrschenden Luftverschmutzung umgehen könnten. Heute sind diese und andere Probleme zum Teil gelöst oder nicht mehr existent.

Obwohl oder gerade weil dieses Buch bereits sehr alt ist, bietet es interessante Einblick eine eine zweifelsohne für westliche Begriffe sehr fremdartige Kultur und ihren Wandel in Zeiten der Globalisierung – denn nicht immer war Japan dem Rest der Welt so offen eingestellt wie es heute mehr und mehr der Fall ist. So werden die Lebensbedingungen eines Durchschnittsjapaners beschrieben und die außergewöhnliche Effektivität und Dynamik der japanischen Wirtschaft zur Zeit der Autoren erklärt. Japanischen Eigenheiten und Verhaltensweisen werden vor dem Hintergrund der Kulturgeschichte interpretiert und die Privatshäre der Japaner, die Ausländern meist verschlossen bleibt, erkundet. Umrahmt werden die Eindrücke von Fotos japanischem Alltags abseits ausgetretener Touristenpfade. Dieses Buch war einer der Auslöser, sich noch intensiver mit dem Land zu beschäftigen.

»Japan? Warum?«

Abseits der Touristen werde ich während des Homestay-Aufenthaltes hoffentlich ebenfalls die andere Seite Japans entdecken. Die Bewerbung und die Motivationsschreiben für das DJJG-Programm waren dabei die erste Hürde, die es zu nehmen galt. Doch was ist nun der Grund für diese grenzenlose Affinität zu einem derart fremden Land? Vielleicht ist es die Tatsache, dass ich durch meine polnisch-deutsche Multikulturalität dem Abendland auf bestimmten Ebenen nichts Neues mehr abgewinnen kann. Vielleicht bewegt sich die westliche Kultur auch in Richtungen, die mir nicht gefallen. Jedenfalls ist mir seit geraumer Zeit die japanische Kultur in verschiedenen Lebensbereichen wiederholt begegnet. Häufig erfuhr ich erst hinterher, dass die Zeichnung, die Lampe, die Farbkombination oder ein anderer Gegenstand des alltäglichen Lebens japanischem Ursprungs war. Ich schließe daraus, dass ich einer bestimmten Ästhetik zugeneigt bin, die den Japanern wohl angeboren sein muss.

Japanische Ästhetik

Da ist zum Beispiel das Schriftzeichen, das oft unzählige Bedeutungen haben kann, basierend auf dem Kontext. Da ist die Kunst des Weglassens, des Minimalistischen. »Japaner sind immer freundlich« lautet ein weiteres Vorurteil, welches wohl keines ist. Nicht zu verwechseln mit »Chinesen schauen immer freundlich«. Die Mentalität ist dem westlichen egozentrischen Selbstbild genau entgegengesetzt. Der Japaner ist ständig auf ein harmonisches Kollektiv bedacht und wird stets zuerst an die Nöte und Sorgen seines Gegenüber denken. Man könnte sagen, die Japaner leben von Natur aus die universellen Werte, die das Christentum oft vergeblich versucht, den Menschen einzuimpfen.

Religion ist übrigens ein weiteres interessantes Thema. Die Art und Weise, wie Japan mit Religion umgeht, ist in meinen Augen bewundernswert. Selbst als Religionsverweigerer kommt man nicht umhin, die japanische Einstellung zu Bewundern. Da existieren mit Shintoismus und Buddhismus  zwei Religionen friedlich nebeneinander, wobei der Shintoismus in seiner Form als animistische Religionsform und die daraus entstehende Toleranz besondere Erwähnung verdient (Ich verlinke Wikipedia hier nicht zum Spaß).

Ausblick

Es lassen sich noch viele weitere Dinge schreiben, aber dies soll nur der Auftakt zur Reportage »Hallo Japan« werden. Bewusst verschwiegen habe ich an dieser Stelle die Anime- und Manga Subkultur. Sie ist für mich ein weiterer Grund, dieses Land zu mögen. Viele der genannten Aspekte japanischer Kultur spiegeln sich in  den Inhalten dieser Subkultur wieder und machen den Einstieg  für Fremde einfacher und attraktiver. Das Anime-Referat in Furtwangen und das »Selbststudium« dieser Kunstform – natürlich in Originalton – erlaubte einen ersten Einstieg in die Sprache. Dieser Bereich wird jedoch an anderer Stelle noch ausführlich breitgetreten.

Ein Japankenner sagte mir, der Film »5 cm per second« (秒速5センチメートル) gebe die Atmosphäre Tokyos sehr authentisch wieder. Dass der Film sowohl authentisch als auch atmosphärisch dicht und beeindruckend ist, von der Zeichentechnik ganz abgesehen, kann ich nur bestätigen. In Deutschland ist er jedoch noch nicht erhältlich. Bis ich jedoch echte Fotos posten kann, werden wir uns mit Fremdmaterial und Gezeichnetem begnügen müssen.

Mit Sicherheit wird dies auch zu einer kleinen Analyse führen, wie weit Anime die japanische Kultur realistisch und unverzerrt wiedergeben kann.