Komischer Tag

Bäh, mir ist schlecht. Das, wozu uns unser großzügiger und reicher Gastgeber heute einlud, war zwar teures russisches Essen. Doch nach drei Wochen Japan hat mir das Zeug den Rest gegeben. Zähes Steak und rot gefärbte Kartoffeln in Tomatensuppe (Barsz) sowie Pjeruschki (in Blätterteig?! Honto?). Das war genauso russisch wie die Sushi-Restaurants bei uns Japan repräsentieren. Trotzdem bin ich ihm dankbar, denn der Ausflug war spannend. Auch wenn ich die anschließenden Gastgeber bestimmt verärgert hab, weil ich sogar den Tee und den Keks stehen lassen musste, um nicht den Tisch vollzukotzen. Pardon.

Jedenfalls bestand der Tag bis dato weitestgehend aus Cruisen im Lexus mit zwischenzeitlichem Besuch in Töpferei-Stadt und einem echten, sehr großen Dojo. Das was Chrysler nicht mehr kann, nämlich schön verarbeiteten Innenraum und bequeme Sitze, kann Lexus. Schon beim ersten Gas geben blieb mir für einige Sekunden das Blut im Hirn stehen, Unser Sensei ließ keine Gelegenheit aus, uns seine Fahrkünste zu demonstrieren. Und generell fuhr er mittig auf der Straße und schien die Aussage seines Autos „Ich bin hier wichtig“ auch voll zu unterstützen, was manchmal zu empörtem Hupen führte. Wohlgemerkt: In Japan hupt man normalerweise zum Dank! Genauso oft betonte er wie selbstverständlich, wie stolz er auf sein Auto sei. Etwas ratlos aber keineswegs unangenehm berührt konnte ich ihm dankbar für den Ausflug einfach nur zustimmen, denn er hat ja recht.

Unser Ausflug endete dann auch im Lexus-Autohaus. Was ich dort an Service erlebte, grenzte ja schon an Perversion. Wenn man es als Deutscher sieht. Ich fand es Klasse und wünschte, wir wären in Deutschland so weit. Zunächst wurden wir von einer adretten jungen Dame freundlich und mit breitestem Lächeln im Gesicht begrüßt. Diese führte uns dann in den luxuriösen Innenraum, wo die Edelkarossen präsentiert aufgereiht standen. Was uns der Sensei als Konzert und später als Minikonzert in bestem Englisch ankündigte, stellte sich als Präsentation einer sehr teuren Lautsprechereinrichtung heraus. Diese war neben einem CD-Player aufgebaut und zu Kaffee und Kuchen, der uns gratis gereicht wurde, konnten wir den mitgebrachten Klassik-CDs des Sensei lauschen.

Leider hatte wohl jemand die Lautsprecher verkehrt angeschlossen, denn der Sound war grottig. In der Zwischenzeit wurde der Lexus des Sensei gratis einer Wäsche unterzogen. Wer jetzt immer noch nicht weiß oder recherchiert hat, was Sensei heisst: Das ist grob übersetzt „Lehrer“. Trifft aber in der Regel auch auf Ärzte und generell Personen mit höherem Wissensstand oder Spezialisten zu.

Nachdem es mir ja nicht so gut ging, wurde er nicht müde zu betonen, wie geil die Toiletten in diesem Autohaus seien. Also ging ich, obwohl ich nicht wollte, und wurde von sich mir entgegenkommenden Toilettendeckeln begrüßt. Ich musste keinen Finger krümmen. Alles Vollautomatisch. Krasse Scheisse. Nachteil: Der Deckel dachte ich sei schon fertig und klopfte am Rücken an. Automatik ist eben auch in Japan nicht automatisch intelligent. Ok, genug Klogeschichten. Am Abend gab’s Dinner.

Natasha kam mit Gastmama herüber, todschick angezogen. Der Rest des Abends ist eher privat und hat hier im Blog nichts zu suchen, aber es wurde viel gequatscht und viel Honne gesprochen (Die Japaner haben sich miteinander in unserer Anwesenheit offen über uns unterhalten, und zur Erleichterung nur positiv). Viel Kopfzerbrechen schien den Japanern Natashas Abenteuerlust zu bereiten, denn sie wird ja wieder nach Japan kommen. Wie sie hier das teure Leben, das teure Studium und sowieso den mehrmaligen Flug finanzieren will, war auch nachdem sie gegangen war noch Gesprächsthema Nummer eins. Den Japanern ist so eine mutige und auf Träumen, Optimismus und Abenteuerlust aufbauende Zukunft viel zu unsicher, ja völlig fremd und unverständlich.

Gut, ich habe es auch nur halbwegs geschafft ihnen mitzuteilen, dass und welche Sicherheiten es noch gibt, dass man vielleicht einmal im Leben auch mal die Freunde oder Familie zu Hilfe rufen kann (was man aber natürlich vermeiden wird) oder dass es immer einen Weg gibt, wenn man will und darüber hinaus ja ein bissel gescheit und weltoffen ist. Man erzählte mir, die Kinder wachsen hier auch sehr behütet auf. Naja, ich und Gastpapa begleiteten Natasha und ihre Gastmama dann noch nach Hause, Natasha und ich unter breitem Grinsen, denn die Straßen sind ja so unsicher hier.

Kurz vorm Gehen tauchte noch ne Schabe auf, was mir erst hinterher eingefallen ist, dass es ne eklige Schabe ist, denn das Viech sah hübsch aus. Ich also voller Interesse, Natasha voller Schutzinstinkt, und die Japaner mit voller tödlicher Empörung. Sie wurde dann doch noch lebendig nach draussen befördert, danke Natashas empörten Ausrufen in gebrochenem Japanisch, denen ich mich gerne anschloss. Jaja, die Gajins kennen eben keine Schaben in 7cm Größe.

Soviel für Heute. Fotos gibt’s keine höchstens eins (oder, Natasha, darf ich?) denn tagsüber hatte ich null Bock auf Fotos. Bericht aus Nikko am Samstag und Fotos die Tage mal. Das ist nichts, was es im Web nicht schon gibt.

Das Leben in Utsunomiya

So, heute mach ichs kurz. Vielleicht. Alles Bestens, ich lebe mich zunehmend ein und alle sind zufrieden. Nur die Schuldirektorin macht noch nicht den Eindruck, als sei sie mit uns zweien sehr glücklich – wahrscheinlich interpretiere ich auch die Mimik falsch, denn sie spricht zwar deutsch, aber ist Japanerin denke ich. P1020386 Trotzdem, vormittags leichte Aufgaben am PC unter viel Betreuung, nichts wobei man sich verausgabt, aber wir wollen ja auch eher kommunizieren und die japanische Kultur kennen lernen, also ist es nicht schlimm. Dann Mittagessen mit den Sensei und zum Glück auf eigene Kosten. Etwas irritiert waren Jolinka und ich auf die direkte Frage, wie viel Geld wir fürs Essen ausgeben können. Wir hätten vielleicht nicht mit „egal“ antworten sollen, denn das schien für Erheiterung zu sorgen. Also sagten wir, das Gleiche wie der Praktikant. So gab es für 850 Yen (6 Euro) ein sehr leckeres klassisches Mittagessen mit Reis, Misosuppe und Gemüsen.

Nachmittags war Höflichkeitsbesuch beim Bürgermeister angesagt, das bedeutet ich bin jetzt Freundschaftsehrenbürger der Stadt Utsonomiya. Yay, man fühlt sich sehr geehrt. Da sahen sich das dutzend Deutsche Praktikanten in Utsonomiya mal endlich wieder, denn wir haben null Kontakt untereinander. Natasha wurde gezwungen, im Kimono zu erscheinen, doch der Kunstfaserstoff war alles andere als kühl, obwohl es hier mittlerweile dezent herbstlich wird (nur noch 25 statt 30 Grad oder so).

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Wir waren auch im lokalen Schrein Utsonomiyas. Dieser befindet sich mitten in der Stadt auf einem grünen Hügel gelegen. Sehr ästhetisch, leider wird die Ansicht grade von einem neuen Hochhaus zugebaut, so verkündet stolz ein Werbeplakat der Baufirma.

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Anschließend haben ich und meine Praktikumskollegin eine Einladung eines Gastvaters zum Umtrunk ausschlagen müssen, was sich als delikate Angelegenheit herausstellte. Denn wir wurden anschließend durch die Stadt begleitet (ganz zufällig auf dem gleichen Weg) was uns gezwungen hat, wieder in die Schule zurückzukehren, in der wir eigentlich gar nicht mehr erwartet wurden. Dort mussten wir uns dann die nächste Begründung überlegen, weshalb wir wieder aufgetaucht waren. Ich hoffe, das hat keine Konsequenzen… Aber was auch immer passiert, es ist alles nur eine große Übung in einer fremden Kultur.

Zwischendurch grüßten uns drei junge Kerle auf dem Fahrrad mit Hallo an, einfach so. Sie waren nur neugierig, aber es zeigt sich sehr, dass Fremde in Japan immer noch sehr speziell sind. Wir fragten sie dann auch gleich nach dem nächsten Internetcafé. Dort musste ich mir für das gratis Internet einen Freischaltcode durch Eingabe der Mailadresse an meine Mailadresse schicken lassen. Ähhhh… da ich kein Internethandy habe wie jeder Japaner war dann die Lösung, die Mail am Festrechner zunächst abzuholen um dann den Laptop zu benutzen. Der Kellner war sehr hilfreich, wie die meisten Leute, vor allem Angestellte, es in Japan sind.

Deutschland ist nicht nur eine Servicewüste, Deutschland ist meiner Meinung nach in der Steinzeit, was zwischenmenschliche Beziehungen angeht. Ich stelle ständig fest, dass die Leute hier entweder gekonnt ignorieren (oder tatsächlich die Straßenseite wechseln) viel häufiger aber interessiert bis neugierig gucken und auch grüßen. Vor Allem, nachdem man im Bus Platz gemacht hat. Hallo!? Ab morgen fahre ich dann mit dem Fahrrad auf viel zu niedrigem Sattel in die Stadt. Geht dreimal schneller als Bus, der drei Runden extra dreht.

Heute habe ich etwas spät das Internetcafe entdeckt. Dann musste ich auch schon wieder zurück, und bin trotzdem zu spät gekommen. Ich hatte mich nicht etwa auf dem Rückweg im Dunkeln verfahren, sondern in 50 Metern Entfernung vom Haus ca. 15 Minuten lang das Haus gesucht, da in den Straßen an dem Hügel, wo ich wohne, alle Häuser ähnlich aussehen. Das war so gar nicht gut, der Gastpapa war nicht begeistert. Aber da ich gestern eine ganze Wassermelone mitgebracht hatte, hielt sich die Empörung, dass ich erst 7:45 statt 7:30 Uhr zu Hause war, in Grenzen.

Ich frage mich aber langsam, wie diese Berichte auf die Deutschen wirken, die mit allen Erdenklichen Freiheiten ausgestattet das hier lesen. Man muss dazu sagen, dass andere Praktikanten jüngere Gasteltern haben, die ihnen auch mehr Freiheiten einräumen. Aber ich habe damit kein Problem, denn nach um 20 Uhr war ich sowieso todmüde. Den ganzen Tag japanisch interpretieren geht tierisch auf die Knochen. Kleiner Witz am Schluss: Mein Fahrradweg in die Stadt, obwohl sehr direkt, führt nicht absolut unzufällig an mindestens zwei Polizeistationen vorbei… von denen gibt es hier aber sehr viele und sehr kleine. Oyasuminasai!